Schweizer Kindergarten: Der Ernst des Lebens beginnt schon mit 4 Jahren🇨🇭🧑🏻🏫

Natürlich haben wir unserem Gremlin den Eintritt in den Kindergarten nicht unter dem Titel «Ernst des Lebens» schmackhaft gemacht und es war auch nicht nötig, die Werbetrommel für den Kindergarten zu rühren. Der Gremlin und alle mir bekannten Kinder gehen freiwillig und sehr gerne in diese Schweizer Vorschule, obwohl sie obligatorisch ist, relativ früh startet und eben schon Schule ist und dem «Lehrplan 21» untersteht.
Gastbeitrag von Tensha:
Unlängst war es also auch bei uns so weit: Der Kindergarteneintritt stand bevor. In der Kita wurde der Übertritt zum Thema, die Kinder wurden gwundrig (neugierig) und die Eltern stellten sich die Frage, ob das eigene Kind schon reif genug ist für diesen Schritt.
Wer Kinder hat, weiss, wie individuell die Entwicklung in diesem Alter ist und kann sich vorstellen, dass jede und jeder sich irgendwann die Frage stellt: Wird das klappen? Das eine Kind ist nochli ein Mami-Titti (hängt noch gerne an Mamis Rockzipfel), das andere konzentriert sich vielleicht nicht so leicht oder sitzt ungern still, wieder ein anderes ist noch sehr schüchtern.
Jedes Kind, so scheint es, hat Aspekte, die einen an der Reife für den Eintritt in den Kindergarten zweifeln lassen. Jedes Kind hat aber auch schon ganz viele Kompetenzen und wie gesagt, auch Lust darauf, zu den Grossen zu gehören und in den «Chindsgi» (Abkürzung von Chindergartä) zu gehen.
Vorbereitung auf den Kindergarten
So war es auch bei uns: Keine einzige Träne wurde vor den Sommerferien beim Abschied von der Kita (und den heissgeliebten Kitabetreuerinnen und -betreuern) vergossen, viel zu gross war die Freude über den anstehenden neuen Lebensabschnitt.
Eifrig wurden bei uns zuhause Znüniboxen beschaffen und angesichts der zahlreich vorhandenen Rucksäcke über die Notwendigkeit eines zusätzlichen Chindsgitäschlis debattiert. (Es gab keines; einer der vielen vorhandenen Rucksäcke wurde einfach mit dem Schutzengel von Gotti (Patentante) aufgepeppt und fertig. 😊)
Von den Betreuerinnen aus der Kita liess ich mir sagen, dass heutzutage in Fachkreisen die Meinung vorherrsche, dass eine zu intensive Vorbereitung auf den Kindergarten auch kontraproduktiv sein könne, da durch zu viel Hype auch Ängste ausgelöst werden könnten.
Also unterliess ich es, allzu viel darüber zu sprechen und von Seiten des Auswanderluchses bestand die Gefahr der Thematisierung ja sowieso nicht, zumal er ja gar nicht wusste, was der Schweizer Kindergarten genau ist und bedeutet.
Immerhin kaufte ich dann aber im letzten Moment doch noch eine Bilderbuchlektüre für den Gremlin, um das eine oder andere Gespräch über den baldigen Kindergarteneintritt anreissen zu können.
Ein passendes Buch zu finden war übrigens gar nicht mal so einfach, da die meisten Bücher ja aus Deutschland kommen und der Eintritt in den dortigen Kindergarten ja bei uns dem Eintritt in die Kita entspricht. Mindestens ein Schweizer Buch gibt es allerdings, nämlich von Frank Kauffmann und Patrick Mettler. Es heisst: «Honigbär – Kindergarten ahoi». Uns gefiel’s.

Der grosse Tag…
…lief schliesslich glimpflich ab: Gremlin war stolz und seine Eltern nervös. Denn wir wussten im Gegensatz zum Kinde, dass irgendwie alles passieren konnte. Wir gingen zum Chindsgi waren kurz beim Znüni-Essen (zweites Frühstück irgendwann um 9 Uhr herum) dabei und waren nach einer Stunde wieder entlassen.
Als wir den Gremlin dann am Ende des Kindergartentages abholten, erhielten wir Eltern alle noch eine Sonnenblume. Wohl dafür, dass wir so tapfer waren. Dabei wurden unsere Tränen im Gegensatz zu denen von den Kindern einfach nicht gesehen…! 😉
Und das Kind selbst? War freudestrahlend! Und beschied uns auch sogleich, dass sie bereits einen Freund habe! Nach einigem Rätsel raten unsererseits stellte sich heraus, dass es sich um ein Kind aus der 3. Klasse handelte… Da es sich um eine kleine Schule handelt, funktionieren Freundschaften offenbar sogar jahrgangsübergreifend.
Und übrigens: In der Schweiz findet dieser erste Schul- bzw. Kindergartentag absolut ohne Brimborium statt – kein Einschulungsfest, keine Kirche, keine Schultüte. Man geht da einfach hin, die Eltern bleiben – wie gesagt – in der Regel eine Stunde dabei und dann hat der Ernst des Lebens eben einfach begonnen…
Kindergarten in der Schweiz
Der Kindergarteneintritt wird in der Schweiz unterschiedlich gestaltet. In vielen Gemeinden ist es z.B. Usus, dass vor den Sommerferien bereits einmal ein Probetag stattfindet für die neuen Kinder, so dass sie wissen, was sie dann bei Kindergarteneintritt erwartet.
Oftmals gibt es ein Gotti-/Götti-System, bei welchem ein Kind aus dem Kindergarten 2 («Sommervögel») sich einem Kind aus dem Kindergarten 1 («Räupli») annimmt und das kleinere Kind in die Geheimnisse des Kindergartens einführen. (Die unterschiedlichen Namen bei den beiden Kindergartenklassen sind übrigens nicht immer so sinnig wie die vorherigen Beispiele… 😉)
Im ersten Kindergartenjahr findet der Unterricht nur morgens statt, im zweiten dann zum Teil auch noch nachmittags. Leider ist das für berufstätige Eltern eine ziemliche Herausforderung; in der Regel ist man angewiesen auf schulergänzende Betreuungsmöglichkeiten mit einem Hort – übrigens auch für die 13 Wochen Ferien, welche man ja in der Regel nicht selber abdecken kann, wenn beide Elternteile arbeiten.
Und wenn ich schreibe «Unterricht» dann bedeutet das wohl eine gewisse Zeit im Kreis, wo Geschichten erzählt, erklärt und gesungen wird, aber selbstverständlich besteht die Kindergartenzeit auch aus sehr viel Basteln, Malen und Spielen. Sogar Turnunterricht findet statt.
Gründe für die frühe Vorschule
Nun ist mir bekannt, dass es gerade für Einwanderer und insbesondere Einwandererinnen aus Deutschland manchmal schockierend ist, wie früh in der Schweiz die Einschulung stattfindet – mit allem drum und dran, wie etwa der Erwartung, dass das Kind alleine den Schulweg bewältigt.
Ich selbst finde es einerseits auch früh. Unser Gremlin ist vom Körperlichen her eher klein und zart und man denkt tatsächlich, «jesses, ächt jetzt…?!» Andererseits wüsste ich beim besten Willen nicht, was ich mit dem Kind und seinem Wissensdurst noch weitere 1-2 Jahre zuhause hätte anstellen sollen.
Den Kitabetreuerinnen und -betreuern ging es übrigens nicht anders; auch dort ist man nicht auf weitere Wissensvermittlung ausgerichtet oder geschult. Im Kindergarten hingegen gibt es klare Lernvorgaben und neben dem Üben von Sozialkompetenzen geht es eben auch darum, gut mit Stift und Schere umzugehen, erste Zahlen und Buchstaben zu lernen und sich auch sonst während eines Quartals in ein Fachthema zu vertiefen.
Bspw. in die Jahreszeiten oder auch in Kinder-In-Themen wie Dinosaurier… 😉 Mit dieser relativ frühen Vorschule soll sichergestellt werden, dass auch Kinder, welche zuhause vielleicht weniger über die Möglichkeit verfügen, adäquat gefördert zu werden, gut vorbereitet werden auf den Schuleintritt.
Des Weiteren würde auch bereits im Kindergarten festgestellt, wenn Defizite vorhanden wären, die es spezifisch zu fördern gilt. Der Übertritt in die Schule ist dann in der Regel ein Leichtes für die Kinder.
Quintessenz
Natürlich kenne ich von meiner Kindheit nichts anderes als eben der Beginn der Schulkarriere mit dem Kindergarten. Allerdings waren wir damals bereit 5 Jahre alt, als der Chindsgi begann.
Aber unabhängig von meinen eigenen Erfahrungen finde ich das System hier sehr gut und überzeugend; nicht nur, weil der Gremlin jeden Tag total happy aus dem Kindergarten kommt. Auch für uns als Familie ist es sowieso klar: So zufrieden wir mit der Kita waren, wir lieben die neuen Strukturen mit dem Kindergarten.
Die Schulpflicht und die damit einhergehenden Regelmässigkeiten bringen irgendwie auch viel Ruhe in das Familienleben. Und der Gremlin würde sowieso auf keinen Fall mehr zurück zu den «Kleinen» in der alten Kita – obwohl wir ihr das mal für 1-2 Tage als Ferienhort schmackhaft machen wollten.
Der Ernst des Lebens scheint also – zumindest im Kindergarten – eine gelungene Angelegenheit zu sein.
Hier noch ein Podcast, den ich zusammen mit dem Auswanderluchs aufgenommen habe:
- «Weihnachtsmarkt-Eklat: Deutscher Auswanderluchs verlässt Schweizer Frau wegen Raclette» - 25. Dezember 2023
- Schweizer Kindergarten: Der Ernst des Lebens beginnt schon mit 4 Jahren🇨🇭🧑🏻🏫 - 18. Dezember 2022
- Gremlin – Interview mit einer Doppelbürgerin🇨🇭🇩🇪 - 4. Juli 2022















