Jetzt mal umgekehrt: Tensha goes Ruhrpott 👩🏼🦰🇩🇪

Gastbeitrag von Tensha 👩🏼🦰
Man soll ja ab und zu einen Kopfstand wagen und die Welt von umgekehrt anschauen. Oder auch einfach mal eine Geschichte von einem anderen Blickwinkel betrachten. Zum Beispiel, wie es ist, wenn nicht der Deutsche in die Schweiz kommt, sondern die Schweizerin nach Deutschland geht. Habe ich schon verschiedentlich gemacht und zwar bereits vor der Liaison mit dem Auswanderluchs: Auf Campingplätzen und Vergnügungsparks während der Kindheit, geschäftlich in Berlin und Hannover, auf Freundinnenbesuch in Hamburg und Frankfurt. Lief alles immer glatt bis zum Moment, in welchem ich zu sprechen begann… 😉
Sprachproblematik
Schweizerhochdeutsch: Die wenigsten Deutschen lassen unseren Akzent unkommentiert, selbst wenn sich die Schweizerin um eine geschliffene Sprache bemüht. Zugegeben, ich gehöre noch zu einer Generation, die sich schon in der Schule geweigert hat, ein trainiertes Schauspieler-Hochdeutsch zu sprechen; ja, man hört es, dass ich aus der Schweiz bin. Ich spreche langsamer, benutze für deutsche Ohren komische Wörter und selbst wenn die Wörter nicht grundsätzlich „falsch“ sind, so ist es nicht selten zumindest deren Betonung.
Das ist alles nicht schlimm und die meisten Deutschen freuen sich über das etwas Andere in der Sprache, grinsen, versichern, dass man „ganz süss spricht“. Das ist natürlich gut gemeint und selbstverständlich lächle ich nach Schweizer Manier freundlich zurück und sage „Chuchichäschtli“ (Küchenschrank), wenn mein deutsches Gegenüber noch was ganz Schweizerisches hören will und die Sache ist erledigt. Zumindest, bis ich im nächsten Satz aus Versehen Trottoir, Lavabo oder Natel sage und mich schon wieder keiner mehr versteht.
Nicht ernst genommen
Allerdings gibt es aber auch Situationen, auch mal Ernst gilt, sehr Ernst, und man würde gerne auch Ernst genommen werden. Da wird so ein „Schweizerdeutschsprachfehler“ schon auch mal ein Handicap im Umgang mit den Deutschen. Man stelle sich vor, man will die Bedienung im Restaurant, den rempelnden Grobian in der Einkaufsmeile oder den Idioten im Strassenverkehr anmeckern: Da fühle ich mich als Schweizerin in Deutschland von vornhinein auf verlorenem Posten, denn meine Botschaft wird nie und nimmer ankommen, wie ich sie zu senden meine.
Was denn passiert, wenn ich zu schimpfen beginne? Erst einmal: Gar nichts. Grundsätzlich fühlt sich in Deutschland und insbesondere im Ruhrgebiet niemand von mir angesprochen, denn ganz offensichtlich wird ja meinerseits eine Fremdsprache gesprochen: Dieser Singsang des Schweizerhochdeutschen, die Betonung auf der ersten Silbe, die ausgeprägten Kratzlaute (ch…ch…ch… „your language sounds like eating hard bread!“) führen dazu, dass schon gar nicht hingehört wird; die Worte dringen nicht zu meinem Gegenüber durch, denn die Melodie ist schon falsch! Will heissen: Wenn ich mir im Ruhrpott Gehör verschaffen will, muss erst mal ein lautes und deutliches „Hömma!“ hin, sonst ist alles, was folgt, vergebens.
Leider weiss ich das noch nicht schon seit immer. Unvergessen die Situation auf einem Bahnhof in NRW – alles lief irgendwie falsch und schief, von der Bahnhofsuhr über die grossen Verspätungen im Bahnverkehr zu den falsch angezeigten Zügen auf den Gleisen. Da geh ich also zu einem freundlich ausschauenden älteren Ehepaar hin und erkundige mich nach ich weiss nicht mehr was. Diese aber wehren sofort erschrocken ab, als sie mich reden hören, schütteln den Kopf und meinen abweisend: „Wir verstehen Sie nicht, wir sprechen nur Hochdeutsch!“
Was ist zu tun?
Also, was ist zu tun? Sich den deutschen Singsang aneignen? (Da habe ich mich jetzt Jahrzehnte lang dagegen verwehrt…) Schweigen und den Auswanderluchs reden lassen? (Nicht so ganz meine Art!) Oder weiter wie bis anhin…? Ich bin noch unschlüssig. Auf jeden Fall bleibt zu erwähnen, dass einen das Schicksal der unverstandenen Schweizerin erst von Frankfurt a. M. nordwärts ereilt.
Alles was südlicher ist, ist sprachlich so schweizfreundlich, dass fast Dialekt gesprochen werden kann. Und für alles, was nördlicher ist, werde ich vielleicht doch irgendwann mal noch anfangen, mich den sprachlichen Gepflogenheiten anzupassen. Für den Ruhrpott vielleicht sogar noch mit ein paar Grobheiten in der Sprache. Kann ja nicht schaden, mal ein bisschen aus der schweizerischen Sprachniedlichkeit herauszufinden.
Ach ja, und was ich noch sagen wollte: Das Schweizerdeutsche ist nicht einfach ein Dialekt des Hochdeutschen und auch nicht einfach eine andere Sprache, sondern quasi der Vorgänger des „Hochdeutschen“: Vor einigen hundert Jahren hätte man mich wahrscheinlich vielerorts in Deutschland noch fast einwandfrei verstanden – sogar das ältere Ehepaar im Ruhrgebiet und zwar nicht erst, als ich es ankeifte, dass ich verdammt nochmals sehr wohl Hochdeutsch spreche!
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2 Responses
Autobahngebühren pro Jahr 40-45 Fr. sind im Vergleich zu den Investitionen (u.a. für Tunnels) für mich als Schweizer sehr günstig im Vergleich mit den umliegenden Ländern. Was bezahlt man in Deutschland? Z.B. in F Marseille – retour reichen 100.– nicht. Wäre auch ein Punkt zum Vergleich,. Danke für Ihre neutrale und sachliche Sendung. Macht weiter so.
Hoi Burkhardt
Vielen lieben Dank für deine freundlichen Worte.
In Deutschland gibt es für PKWs keine Maut. Die 40 Franken für die Autobahnvignette in der Schweiz zahle ich gerne. Die Autobahnen sind hier in einem sehr guten Zustand. Wie der Rest der Schweizer Infrastruktur auch.