„Der Mythos von der paradiesischen Schweiz“ – Reaktion auf „Welt“-Artikel
Am 21.12.2021 erschien ein Artikel in der zum Springerkonzern gehörenden „WELT“. Ein in Deutschland lebender Schweizer will mit dem Beitrag „Der Mythos von der paradiesischen Schweiz“ den Deutschen „ein paar Illusionen rauben“.
Glorifizierung der Schweiz
Mir kommt es so vor, als soll dieser Artikel dem Zweck dienen, den Deutschen in Deutschland zu zeigen, dass sich eine Auswanderung nicht lohnt und zwar selbst nicht in die Schweiz, auch wenn über 300’000 Deutsche dort glücklich leben. Der Autor kritisiert die Glorifizierungen der Schweiz durch in der Schweiz lebende Deutsche. Das Leben in der Schweiz sei nicht viel besser als in Deutschland, meint er.
Geringe Eigenheimquote in der Schweiz
Als erstes wird die niedrige Eigenheimquote als Indiz für ein nicht so erfülltes leben erwähnt. Die Eigenheimquote ist tatsächlich niedriger als in Deutschland, jedoch muss das kein Nachteil sein.
Gerne wird die niedrige Eigenheimquote in Deutschland als Erklärung für das im europäischen Vergleich niedrige Vermögen der einkommensstarken Deutschen verwendet. Die Schweizer – mit ihrer noch niedrigeren Eigenheimquote – verfügen dagegen über ein im Vergleich hohes Vermögen.
Natürlich sind die Löhne auch viel höher in der Schweiz, aber auch, wenn man die Löhne von Deutschland und der Schweiz ins Verhältnis setzt, zeigt sich immer noch, dass die Schweiz hier klar im Vorteil ist. Der liberale Schweizer Weg mit seinen niedrigen Steuern und Abgaben ist förderlich für den Vermögensaufbau der Bürger.
Liberale Schweiz
Den liberalen Schweizer Weg kritisiert der Autor dann in seinem zweiten Punkt: „So muss in Helvetien alles, was mit Zähnen zu tun hat, durch private Zahnzusatzversicherungen oder aus dem eigenen Sack finanziert werden.“
Im Satz dahinter entzieht er dem Kritikpunkt jedoch gleich die Schlagkraft: „(…) weil sie die Schäden selbst berappen müssen, sorgen Schweizerinnen und Schweizer besser vor und putzen ihre Zähne häufiger und besser als alle anderen in Europa.“
Wie sich hier zeigt, führt die mit der liberalen Politik einhergehende höhere Eigenverantwortung dazu, dass Schweizer sich mehr um ihre Zahngesundheit kümmern. Ich kann das aus meinem persönlichen Umfeld bestätigen. Die Deutschen haben die weitaus schlechteren Zähne.
Zahnarztkosten in der Schweiz
Karies kommt relativ häufig vor und ist in Deutschland auch kein grosses Problem, zahlt man doch „nichts“ für eine Kariesbehandlung oder nur wenige Euro für eine Kunststofffüllung, wenn man auf Amalgam verzichten möchte, schliesslich übernimmt die gesetzliche Krankenversicherung den Grossteil der Kosten. Nicht mal die Rechnung – und damit keinerlei Einsicht in die Kosten – erhält man als Patient.
In der Schweiz hingegen sind diese Kosten für jeden Patient ersichtlich, sie „tun weh“ und wollen möglichst vermieden werden. Der grosse Gewinner ist die Gesellschaft. Kosten für Kariesbehandlungen werden – so gut es geht und man es beeinflussen kann – vermieden. Das Geld kann anderweitig verwendet werden.
Hoher Lohn – wenig Freizeit
Des Weiteren soll in dem Artikel gezeigt werden, dass für den hohen Schweizer Lohn auch mehr geleistet werden muss. Bezüglich Urlaubstage ist das tatsächlich so: In der Schweiz beträgt der „Ferienanspruch” bzw. Urlaubsanspruch im Durschnitt fünf Wochen pro Jahr. Ältere Arbeitnehmer/innen haben jedoch häufig einen höheren Ferienanspruch.
Wochenarbeitszeit Schweiz
Betrachtet man die Wochenarbeitszeit von Vollzeitstellen, erkennt man keinen grossen Unterschied zwischen Deutschland und der Schweiz. Durchschnittlich wird in der Schweiz 37,7 h pro Woche gearbeitet. In Deutschland liegt die Wochenarbeitszeit bei durchschnittlich 41,0 h. Beide Daten beziehen sich wohlgemerkt auf Vollzeitstellen.
Schaut man sich die Daten von allen Erwerbstätigen an, sieht die Situation so aus: Die Wochenarbeitszeit von allen Arbeitnehmenden (inklusive Teilzeitstellen) in der Schweiz ist geringer als in Deutschland (29,7 h zu 34,8 h). Der hohe Lohn führt dazu, dass sich mehr Menschen eine Reduktion ihres Pensums leisten können. Ich selbst kenne viele Frauen und auch Männer, die nur zu 80 Prozent arbeiten, um mehr Zeit für die Familie oder Freizeitaktivitäten zu haben.
Für welche Berufe lohnt sich eine Auswanderung in die Schweiz?
„Die größte Differenz offenbart sich bei arbeitsintensiven personenbezogenen Dienstleistungen von der Betreuung von Kleinkindern bis zur Pflege älterer Menschen, beim Haareschneiden oder der Kosmetik bis hin zur Bedienung in Hotels oder Restaurants. Dass guter Service auch gutes Geld kosten darf und muss, ist in der Schweiz wesentlich stärker akzeptiert als in Deutschland.“
Ich stimme dem Autor zu. In der Schweiz darf eine Dienstleistung deutlich mehr kosten als in Deutschland. Dementsprechend profitieren bestimmte Berufe dadurch von einem höheren Lohn. Es ist allerdings nicht so, dass nur diese Berufe von einer grossen Lohndifferenz zum Lohn in Deutschland profitieren können.
Interessanterweise spricht der Autor grösstenteils Berufe des Niedriglohnsektors an. Nun ist es aber so, dass man gerade in Berufen wie Informatiker, Arzt, Ingenieur, Techniker, Facharbeiter in der Industrie usw. von den niedrigen Steuern und Abgaben profitiert: Je höher der Lohn, desto mehr profitiert man von den niedrigeren Steuern. Dies ist ein nicht zu unterschätzender Vorteil, den die Schweiz bietet.
Geld in Deutschland ausgeben
Zum Abschluss des Artikels rät der Auto übrigens – so kommt es mir zumindest vor – die Zeit in der Schweiz zum Sparen zu nutzen, um das Geld dann nach der Heimkehr in Deutschland auszugeben… 😀
Seit 2016 lebe ich in der Schweiz zusammen mit meiner Schweizer Partnerin. Beruflich bin ich in der Pharmaindustrie bei einem grossen internationalen Unternehmen in Schaffhausen gestartet. Seit 2019 betreibe ich diesen Blog und den gleichnamigen YouTube-Kanal.
Wenn du mehr über mich erfahren möchtest: Auf meiner „Über mich“-Seite findest du meine persönliche Auswandergeschichte und die Hintergründe für diesen Blog.
- 6 Dinge, die Deutsche über die Schweiz wissen sollten 🇨🇭🇩🇪 - 14. November 2025
- Swissquote Depot 2025 – Ein ehrlicher Erfahrungsbericht - 30. Oktober 2025
- Der absurde Erfolg dieses Landes gibt einem zu denken - 21. Oktober 2025
